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Abschied von der gewohnten HV-Normalität – die zunehmende Bedeutung von Stimmrechtsberatern (Proxy Advisors) und aktivistischen Aktionärsgruppen im Vorfeld von Hauptversammlungen

Datum: 28. März 2017
Corporate/M&A Alert

Ein zunehmend selbstbewusstes Verhalten von aktivistischen Aktionären im Vorfeld und während der Durchführung von Hauptversammlungen börsennotierter Unternehmen ist keine Neuigkeit. Einige spektakuläre Fälle führten im letzten Jahr jedoch dazu, dass das Thema Shareholder Activism in den Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit geriet, darunter auch die Bemühungen des Hedgefonds The Children’s Investment Fund, bei der Volkswagen AG zu einer unternehmensintern tragfähigen Regelung der Managementgehälter zu gelangen. Die Bedeutung dieser Aktionärsgruppen wird aller Voraussicht nach – einhergehend mit dem internationalen Trend – auch in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Naturgemäß versuchen diese – nicht nur mittels aufwendiger Pressekampagnen – auch andere etablierte Aktionäre wie etwa institutionelle Investoren für sich und ihr Abstimmverhalten zu gewinnen.

Eine maßgebliche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Stimmrechtsberater, sogenannte Proxy Advisors. Insbesondere ausländische institutionelle Anleger folgen vermehrt deren Stimmrechtsempfehlungen. In der Praxis geht man diesbezüglich von bis zu 80% Anlegern aus, die den Empfehlungen folgen. Da die Beschlussempfehlungen nicht immer die Spezifika des deutschen Aktienrechts berücksichtigen, sollen im Folgenden einige wesentliche allgemeine Empfeh­lungen der größten Stimmrechtsberater Glass Lewis (San Francisco), ISS (Rockville), ProxInvest (Paris) und DSW (Düsseldorf) kurz dargestellt werden. Gerade im Rahmen der jetzt anstehenden Hauptversammlungsvorbereitung gilt es diese zu berücksichtigen, um bestimmte Risiken bereits im Vorfeld zu minimieren. Während einige Empfehlungen einfach zu erhalten sind[1], ist beispielsweise der Abruf der Empfehlungen der DSW für Nicht-Mitglieder kostenpflichtig[2].

Wahlen von Mitgliedern des Aufsichtsrats
Im letzten Jahr sind die aktienrechtlichen Vorgaben in Bezug auf die persönlichen Voraus­setzungen von Aufsichtsratsmitgliedern erfreulicherweise etwas gelockert worden. Allerdings sind im Deutschen Corporate Governance Kodex nach wie vor weitere umfang­reiche Empfehlungen enthalten, etwa zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern, zum Wechsel von Vorstandsmitgliedern in den Aufsichtsrat sowie zu Interessen­konflikten.

Auch die Stimmrechtsberater setzen hier verständlicherweise einen Schwerpunkt; ein besonderes Augenmerk wird ferner auf die zeitliche Verfügbarkeit des Kandidaten gerichtet.

So soll nach Glass Lewis bei der Besetzung des Aufsichtsrats eine Quote von mindestens 50% an unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern erforderlich sein. Darüber hinaus verlangt Glass Lewis, dass etwaige persönliche und geschäftliche Beziehungen des Aufsichtsratsmitglieds zur Gesellschaft und mit ihr verbundenen Unternehmen (entgegen der bloßen Empfehlung im Deutschen Corporate Governance Kodex) zwingend offengelegt werden müssen. Zudem wird bei Nichteinhaltung der für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats gesetzten Ziele die Offenlegung einer stichhaltigen Begründung verlangt. ProxInvest lehnt Kandidaten, die dem Lager eines Mehrheitsaktionärs zuzuordnen sind, grundsätzlich ab, wenn dies zu einer unverhältnismäßigen Einflussnahme gerade dieses Aktionärs führt und die Unabhängigkeit auch ansonsten nicht gewahrt ist. Glass Lewis sieht es ferner als bedenklich an, wenn mehr als zwei ehemalige Vorstandsmitglieder im Aufsichtsrat vertreten sind. ISS will Wahlen eines Vorstandsvorsitzenden in den Aufsichtsrat (auch unter Beachtung einer gewissen Karenzzeit) gänzlich vermieden wissen. ProxInvest kritisiert ferner die im deutschen Recht gemäß § 100 Abs. 2 Nr. 2 AktG ohnehin nicht zulässigen Überkreuzverflechtungen, also die Verbindung von Aufsichtsratstätigkeit bei der Obergesellschaft mit einer operativen Vorstands- oder Geschäftsführertätigkeit bei einer abhängigen Konzerngesellschaft.

Um aus Sicht der Stimmrechtsberater ausreichend Zeit für die beabsichtigte Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied zu haben, sollen Kandidaten ferner – vereinfacht – nach Glass Lewis, ISS und ProxInvest nicht mehr als zwei Aufsichtsratsmandate innehaben, wenn sie gleichzeitig ein Vorstandsamt bekleiden, nach ISS und ProxInvest nicht mehr als drei Aufsichtsratsmandate, wenn sie als Aufsichtsratsvorsitzender fungieren. Als generelle Höchstgrenze für die Aufnahme einer Funktion im Aufsichtsrat werden von Glass Lewis und DSW fünf, von ISS vier konzernexterne Mandate genannt. Die Proxy Advisors schränken somit anhand dieser Empfehlungen die in § 100 AktG und im Deutschen Corporate-Governance-Kodex enthaltenen Vorgaben auf empfindliche Weise weiter ein, um eine ausreichende zeitliche Verfügbarkeit des Kandidaten und mithin eine ordnungsgemäße Ausübung des Aufsichtsratsamts sicherzustellen

Interessanterweise soll nach Auffassung von ProxInvest die Bestelldauer für Aufsichtsratsmitglieder vier Jahre nicht überschreiten. Bei deutschen börsengelisteten Unternehmen ist es jedoch durchaus üblich, die in § 102 AktG vorgesehene Höchstgrenze der Amtsdauer (im Ergebnis meist je nach Zeitpunkt der Hauptversammlung viereinhalb bis knapp fünf Jahre) auszunutzen – dies schon allein aufgrund der sehr aufwendigen Wahlen auf Seiten der Arbeitnehmervertreter. Hier bleibt zu hoffen, dass diese Vorgabe den lokalen Gegebenheiten geschuldet ist, und eine Auslegung im Sinne des § 102 AktG erfolgen wird.

Genehmigtes Kapital
Um Vorständen börsennotierter Unternehmen eine schnelle und flexible Beschaffung von  Eigenkapital zu ermöglichen, sieht das deutsche Aktienrecht die Ermächtigung zur Schaffung genehmigter Kapitalia bis zu einer Höchstgrenze von 50% des Grundkapitals der Gesellschaft vor. Reguläre Kapitalerhöhungen sind demgegenüber häufig zu langwierig und schwerfällig; das genehmigte Kapital kann zudem in Tranchen ausgegeben werden. In der Praxis wird hiervon auch regelmäßig Gebrauch gemacht. Das genehmigte Kapital ist in Deutschland etwa beim Erwerb von Unternehmensbeteiligungen, der Ausgabe von Mitarbeiteraktien und der in den letzten Jahren an Bedeutung gewinnenden Aktienausgabe zur alternativen Befriedigung des Dividendenanspruchs nach Wahl des Aktionärs (sogenannter scrip dividend) nicht wegzudenken.

Die Proxy Advisors stehen flexiblen Maßnahmen der Kapitalbeschaffung grundsätzlich offen gegenüber. Oberste Prämisse hat bei ihnen jedoch naturgemäß der Verwässerungs­schutz des einzelnen Aktionärs. Vor diesem Hintergrund lassen Glass Lewis und ISS die Schaffung und Ausnutzung eines genehmigten Kapitals bis zur gesetzlichen Höchstgrenze (50% des Grundkapitals) grundsätzlich zu, möchten aber gleichzeitig die Fälle des Bezugsrechtsausschlusses im Rahmen des genehmigten Kapitals auf höchstens 20% des Grundkapitals des jeweiligen Unternehmens beschränkt wissen. Der Großteil der DAX 30- und MDax-Unternehmen folgt dieser Empfehlung durch Aufnahme einer zusätzlichen und in ihrer konkreten Ausgestaltung etwas komplexeren Höchstbegrenzungsklausel allein für den Bezugsrechtsausschluss. In der Handhabung einfacher und rechnerisch grundsätzlich ergebnisgleich ist demgegenüber eine vollständige Beschränkung des genehmigten Kapitals auf 20% des bestehenden Grundkapitals. Für Unternehmen, deren erwarteter Kapitalbedarf in den nächsten fünf Jahren nur bei bis zu 20% des bestehenden Grundkapitals liegen wird, dürfte dies daher die pragmatischere Handlungsalternative sein.

Die Empfehlungen von ProxInvest können in diesem Zusammenhang aufgrund struktureller Unterschiede der verschiedenen Rechtsordnungen nicht uneingeschränkt herangezogen werden. Als maßgebliche Grenze für Bezugsrechtsausschlüsse wird hier ein Drittel des bestehenden Grundkapitals genannt; die Ausgabe von Aktien an Mitarbeiter darf ferner 5% des bestehenden Grundkapitals nicht überschreiten. Die DSW sieht nur eine fehlende oder unzureichende Begründung für Bezugsrechtsausschlüsse als bedenklich an.

Gewinnverwendung
Die Stimmrechtsberater (als Vertreter des Aktionärsinteresses) stehen Dividendenausschüttungen naturgemäß positiv gegenüber. Die DSW rät sogar grundsätzlich zu einer Ausschüttung von 50% des Konzernergebnisses unter Berücksichtigung der unternehmensbezogenen Besonderheiten, beispielsweise Wachstumsgesellschaften. Mögliche Ablehnungsgründe sieht die DSW insbesondere beim vollständigen Fehlen oder willkürlichen Abweichen von einer kommunizierten Dividendenstrategie sowie bei Dividendenzahlungen „aus der Substanz“. Ob hiermit bereits die Auszahlung von Gewinnvorträgen oder nur außerordentliche Erträge aus der Veräußerung von sogenanntem Tafelsilber gemeint sind, bleibt offen.

Die Auffassung von Glass Lewis geht in die gleiche Richtung; demnach sollen mehr als 50% des Ergebnisses nur dann in Rücklagen eingestellt werden, wenn die Hauptversamm­lung diesem Vorgehen zustimmt. ISS ist im Hinblick auf die Gewinnverwendung etwas großzügiger und sieht es lediglich als bedenklich an, wenn der prozentuale Anteil der Dividendenauszahlung dauerhaft unter 30% des Jahresergebnisses liegt. Die aus Anlegersicht auf den ersten Blick dividendenfreundlichste Politik wird von ProxInvest betrieben, wonach erst eine Überschreitung der Dividende auf über 80% und unter 10% des Konzernergebnisses als bedenklich angesehen wird. Dies jedoch um den Preis zahlreicher detailgenauer weiterer Vorgaben wie die Einhaltung spezifischer Vorgaben hinsichtlich des Verhältnisses Dividendenzahlung zur Gewinnentwicklung, Nettoverschuldung zu Eigenkapital sowie Nettoverschuldung zum operativen Cash Flow der letzten fünf Jahre.

Sonstige wesentliche Empfehlungen (nicht abschließend)

Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung
In Einklang mit der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion und Gesetzgebungstendenzen steht auch bei den Stimmrechtsberatern die Vorstandsvergütung im Fokus, obwohl diese – mit Ausnahme der freiwilligen Einbindung gemäß § 120 Abs. 4 AktG – grundsätzlich (noch) nicht Gegenstand von Hauptversammlungsbeschlüssen ist; eine Änderung des deutschen Aktienrechts ist hier aber wahrscheinlich, da im noch laufenden Koalitionsvertrag bereits vorgesehen. So betont vor allem Glass Lewis, dass von Ausnah­men hinsichtlich der Offenlegung von Vorstandsvergütungen Abstand genommen werden und die Vorgaben des Deutschen Corporate Governance Kodex strikt eingehalten werden sollten. Die DSW knüpft hieran an und stellt die Angemessenheit und Transparenz der Vergütung (einschließlich Cap), das Vorhandensein ausreichender Claw-Back-Vereinbarungen sowie die Angemessenheit des Ermessensspielraums für den Aufsichtsrat in den Vordergrund. In Bezug auf die hauptversammlungsrelevante Aufsichtsratsvergütung werden eine reine Fixvergütung und eine funktionsbezogene Vergütung befürwortet; Berater- oder Dienstleistungs­verträge mit der Gesellschaft sollten grundsätzlich vermieden werden.

Wahl des Abschlussprüfers
Die Proxy Advisor greifen auch die im noch recht jungen Abschlussprüferreformgesetz gesetzten Schwerpunkte teilweise auf. Während sich die DSW mit einem Hinweis auf die Einhaltung des Abschlussprüferreformgesetzes begnügt, fordert Glass Lewis bei der Wahl des Abschlussprüfers ausnahmslos eine Rotation spätestens nach fünf Jahren. ProxInvest geht noch weiter und lehnt die Wahl von Abschlussprüfern ab, wenn deren Auftragsverhältnis bereits seit mindestens 15 Jahren bestand, der finanzielle Aufwand der Abschluss­prüfung nicht offengelegt wird oder die Prüfungsgebühr mehr als 10% des Gesamt­umsatzes des Abschlussprüfers ausmacht.

Entlastung des Vorstands und Aufsichtsrats
Im Hinblick auf die (in Deutschland noch übliche) Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats weichen die Empfehlungen der Stimmrechtsberater stark voneinander ab. Glass Lewis und ISS zeigen hier tendenziell weniger Bedenken, es sei denn, es existieren belastbare Informationen hinsichtlich etwaiger Verfehlungen (ISS) oder die Entlastung wird trotz bekannter Vorkommnisse im betreffenden Geschäftsjahr in Form der Gesamtentlastung durchgeführt (Glass Lewis). ProxInvest lehnt die Entlastung von Organmitgliedern ohne weitere Begründung generell ab, was vermutlich an der in einigen Rechtsordnungen geltenden Enthaftungswirkung von Entlastungsbeschlüssen liegt. Die detailliertesten Ablehnungsgründe (die im Folgenden nur ausschnittsweise dargelegt werden) führt in diesem Zusammenhang die DSW auf. Sie fordert eine Nichtentlastung des Vorstands insbesondere bei gravierenden Mängeln in der Unternehmensführung, der fehlenden Transparenz und Glaubwürdigkeit von veröffentlichten Informationen, dem Fehlen einer freiwilligen Zielquote zur Erhöhung des Frauenanteils sowie schwerwiegenden Mängeln bei den Risikomanagement- und sonstigen Compliance-Systemen. Auch ein nachhaltig schlechterer Geschäftsverlauf im Vergleich zum anwendbaren Branchenindex wird hier herangezogen.

Auf Aufsichtsratsebene wird die Entlastung als kritisch angesehen, wenn unter anderem die Vorstandsvergütung intransparent oder unangemessen ausgestaltet ist, die Sitzungsanwesenheit mangelhaft oder intransparent ist, dauerhafte Interessenkonflikte vorliegen oder die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern ohne Begründung unterlassen wird. Wie auch der Gesetzgeber und die Kodex-Kommission sieht also auch die DSW den Aufsichtsrat immer mehr im Fokus. Die hier dargelegten Parameter sollten von Aufsichtsratsmitgliedern daher verstärkt im Auge behalten werden.

Ausblick
Die obigen Ausführungen zeigen, dass die Empfehlungen der Stimmrechtsberater zwar häufig die gleichen Schwerpunkte setzen, in den Einzelheiten aber stark voneinander abweichen können. Nicht ganz unproblematisch ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass einige Proxy Advisors ihre Empfehlungen europaweit ohne besondere Berücksichtigung der einzelstaatlichen Gepflogenheiten und gesetzlichen Vorgaben abgeben, weswegen systematische Widersprüche innerhalb der Empfehlungen nicht zu vermeiden sind. Allein Glass Lewis (durch die Übernahme der deutschen IVOX) und die DSW geben insoweit spezifischere Empfehlungen ab.

Die Tatsache, dass insbesondere ausländische, vorwiegend institutionelle Investoren den Empfehlungen der Stimmrechtsberater gelegentlich ohne weitere Einzelanalyse hinsichtlich der in Rede stehenden Gesellschaft folgen, kann sich als besonders schwerwiegend auswirken. Macht sich insbesondere ein Stimmrechtsberater die Zielsetzungen eines aktivistischen Aktionärs zu eigen und spiegelt diese zusätzlich in seinen konkreten Abstimmungsempfehlungen wider, so resultiert hieraus eine erhebliche Möglichkeit zusätzlicher Einflussnahme. Aus Sicht des jeweiligen Unternehmens gilt es daher umso mehr, durch eine nachhaltige und transparente Kommunikationspolitik bei Investoren und institutionellen Anlegern von vornherein eine ausreichende Überzeugungsarbeit hinsichtlich der Beschlussvorschläge der Verwaltung zu leisten.


[1] vgl. die 2017 Guidelines Germany von Glass Lewis, abrufbar unter http://www.glasslewis.com/wp-content/uploads/2016/12/Guidelines_Germany.pdf

[2] http://www.dsw-info.de/DSW-Richtlinien-zur-Stimmrecht.567.0.html

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