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Friedrichshain-Kreuzberg und das Vorkaufsrecht – eine neue Rechtspraxis wirft Fragen auf

Datum: 7. März 2017
German Real Estate Alert
By: Dr. Christian Hullmann, Mirko Zorn, Dr. Christian Hullmann

„Wie kaufen wir Friedrichshain-Kreuzberg zurück?“ Das fragte sich der Bezirksstadtrat für Planen, Bauen und Facility Management von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt, im Tagesspiegel vom 19. Januar 2017. Eine Antwort auf diese Frage meint er offenbar in einer extensiven Anwendung der gesetzlichen Regelungen zum gemeindlichen Vorkaufsrecht gefunden zu haben. Diese neue Praxis hat massive Auswirkungen auf den privaten Grundstückshandel und begegnet gleichzeitig starken rechtlichen Bedenken.

Das gemeindliche Vorkaufsrecht in Erhaltungsgebieten
Das allgemeine Vorkaufsrecht der Gemeinden ist ein gesetzliches Vorkaufsrecht und entsteht beim Verkauf bestimmter Grundstücke, etwa solcher, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegen, soweit es sich um Flächen handelt, für die nach dem Bebauungsplan eine Nutzung für öffentliche Zwecke unter Ausschluss privater Nutzungsarten festgesetzt ist, oder von Grundstücken in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet, einem städtebaulichen Entwicklungsbereich, im Geltungsbereich einer Verordnung oder Satzung zur Sicherung von Durchführungsmaßnahmen des Stadtumbaus oder einer Erhaltungsverordnung oder -satzung. Letztere Fälle sind Gegenstand der neuen Praxis im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.

In Friedrichshain-Kreuzberg sind derzeit elf Rechtsverordnungen in Kraft, die Erhaltungsgebiete nach § 172 Abs. 1 BauGB festlegen. Auch in vielen anderen Bezirken Berlins sind sie ein immer häufiger genutztes Mittel, um unerwünschten Effekten der „Gentrifizierung“ entgegenzuwirken. Die Festsetzung von Erhaltungsgebieten kann unter anderem dem Ziel dienen, die städtebauliche Eigenart des Gebiets auf Grund seiner städtebaulichen Gestalt oder die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten. Manche Rechtsverordnungen in Friedrichshain-Kreuzberg verfolgen beide Zwecke gleichzeitig.

Gegenstand politischer Diskussionen sind insbesondere Verordnungen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB mit dem Ziel des Erhalts der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung, die sogenannten „Milieuschutzverordnungen“. Hier sollen einerseits sogenannte Luxusmodernisierungen und andererseits die Umwandlung von Miet- in Eigentums­wohnungen verhindert werden, um sozialen Verdrängungseffekten entgegenzuwirken. Zugleich unterliegen Grundstücke in diesen Gebieten auch den Vorkaufsrechts­regelungen nach § 24 BauGB.

Das Vorkaufsrecht als neues Mittel der Wohnungspolitik/
Hatte die öffentliche Hand von ihren Vorkaufsrechten in der Vergangenheit nur ausnahmsweise dann Gebrauch gemacht, wenn es um den Erwerb von Teilflächen zur Realisierung von Infrastrukturmaßnahmen wie Straßenerweiterungen, Brückenbau oder den Bau von Hochwasserschutzanlagen ging, so scheint sie sich im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nunmehr auch in der Rolle des Investors zu gefallen, der ein gesamtes Objekt übernehmen möchte, wenn es sich um ein Wohnhaus in einem Erhaltungsgebiet handelt. Nach einer Pressemitteilung des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg vom 25. Januar 2017 liegen dem die folgenden Überlegungen zugrunde:

„Um die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung noch wirksamer zu schützen, prüft das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg seit einiger Zeit regelmäßig auch die Ausübung seines nach dem Baugesetzbuch bestehenden Vorkaufsrechts. Bevor der Bezirk von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch macht, versucht er, Grundstückskäufer dazu zu bewegen, sich freiwillig zur Einhaltung der sozialen Erhaltungsziele zu verpflichten.“

Soweit ersichtlich hat das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg die Ausübung des Vorkaufsrechts in den vergangenen Monaten des Öfteren erwogen, jedoch nur in sehr wenigen Fällen von diesem Recht Gebrauch gemacht, so etwa in der Glogauer Straße und in der Wrangelstraße. Es bleibt daher unklar, ob das eigentliche Ziel des Bezirks der Erwerb von Wohneigentum ist, oder ob es darum geht, die privaten Käufer von Gebäuden im Gebiet von Erhaltungsverordnungen mittels einer angedrohten Vorkaufsrechtsausübung zur Unterzeichnung eines Vertrages zu bewegen, der sie als neue Eigentümer verpflichtet, höhere als die in den Verordnungen und im Gesetz vorgesehene Schutzstandards zu akzeptieren.

So bedürfen bereits nach den Regelungen des Baugesetzbuchs der Rückbau, die Änderung und die Nutzungsänderung baulicher Anlagen in diesen Gebieten einer besonderen Genehmigung. Seit Erlass der Umwandlungsverordnung vom 3. März 2015 ist außerdem die Umwandlung von Grundstückseigentum in Wohnungs- und Teileigentum in Berliner Milieuschutzgebieten genehmigungspflichtig. Entsprechende Genehmigungen dürfen nur unter sehr engen Voraussetzungen erteilt werden, etwa wenn sich der Eigentümer verpflichtet, das Wohnungseigentum für einen Zeitraum von sieben Jahren nur an die Mieter des Gebäudes zu veräußern.

Der Senat von Berlin hat in einer Antwort vom 11. September 2016 auf eine Schriftliche Anfrage der Abgeordneten – und jetzigen Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen – Katrin Lompscher (Drucksache 17/19038) mitgeteilt, dass er die Bezirke in ihrem Bestreben, das gemeindliche Vorkaufsrecht wahrzunehmen, unterstützt. Es ist daher davon auszugehen, dass die Interventionen der Bezirke, jedenfalls bei Verkäufen von Grundstücken im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung, noch zunehmen werden.

Rechtliche Bedenken im Hinblick auf die neue Praxis
Unabhängig davon, ob die Absicht des Bezirks im Einzelfall darauf zielt, das Grundstück tatsächlich zu erwerben oder lediglich höhere Schutzstandards jenseits des gesetzlichen Milieuschutzes durch die angedrohte Vorkaufsrechtsausübung durchzusetzen, dürfte das Vorgehen der öffentlichen Hand regelmäßig gegen geltendes Recht verstoßen. Die Ausübung des Vorkaufsrechts in Gebieten nach § 172 Abs. 1 BauGB steht – wie jede sonstige Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts nach § 24 BauGB auch – unter dem Vorbehalt des Gemeinwohlerfordernisses.

In Erhaltungsgebieten rechtfertigt das Wohl der Allgemeinheit den Eigentumserwerb der Kommune dann, wenn eine der Vertragsparteien im Zusammenhang mit dem Kauf Maßnahmen plant, die den Zielen und Zwecken der jeweiligen städtebaulichen Maßnahme zuwiderlaufen und ihre Verwirklichung unmöglich machen oder wesentlich erschweren würden. Liegen derartige Planungen nicht vor und wird ein Grundstück entsprechend den städtebaulichen Zielvorstellungen der Kommune genutzt, ist nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eine Ausübung des Vorkaufsrechts durch das Allgemeinwohl nicht gerechtfertigt. Bloße Vermutungen über die Auswirkungen des Kaufs reichen nicht aus, um die  Ausübungsvoraussetzungen für das Vorkaufsrecht zu erfüllen. Die Kommune muss die Erwartung einer Zuwiderhandlung des Kaufs vielmehr auf Tatsachen stützen.

Da dem Bezirk nur zwei Monate ab Mitteilung des Kaufvertrages bleiben, um das Vorkaufsrecht auszuüben, und Kaufverträge in den wenigsten Fällen Angaben darüber enthalten dürften, dass eine den Zielen der Erhaltungsverordnung zuwiderlaufende Verwendungsabsicht des Käufers besteht, dürften dem Bezirksamt regelmäßig keine ausreichenden Informationen vorliegen, die eine Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigen würden. Die vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg vor Ausübung versendeten Anhörungsschreiben zielen auch gar nicht darauf ab, Informationen zur Verwendungsabsicht der Käufer zu ermitteln, sondern weisen nur in allgemeiner Form auf das bestehende Vorkaufsrecht und die Überlegung, es auszuüben, hin.

Den Käufern wird neben dem Anhörungsschreiben zusätzlich der Entwurf eines Vertrages übersandt, mit dem sie sich gegenüber dem Bezirksamt verpflichten sollen, auf die Begründung von Wohn- und Teileigentum am Gebäude, den Anbau von Balkonen und Aufzügen, eine energetische Sanierung sowie auf den Abriss des Gebäudes zu verzichten. Diese Verpflichtungen sollen durch die Eintragung einer entsprechenden Dienstbarkeit im Grundbuch gesichert werden. Zudem enthält der Vertrag eine Klausel, wonach bei Zuwiderhandlungen Vertragsstrafen in sechs- oder siebenstelliger Höhe fällig werden. Auch sollen sich die Käufer hinsichtlich der Vertragsstrafe der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes Vermögen unterwerfen.

Die Vorgehensweise des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg ist im Gesetz nicht angelegt. Tatsächlich steht dem Käufer nach § 27 BauGB ein Abwendungsrecht zu. Dieser kann sich gegenüber der Kommune verpflichten, das Grundstück nach den baurechtlichen Vorschriften oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme zu nutzen, um die Ausübung des Vorkaufsrechts zu verhindern. Das Abwendungsrecht greift aber ohnehin nur dort, wo ein Vorkaufsrecht seitens der Kommune überhaupt ausgeübt werden kann. Wo sie von Gesetzes wegen an der Ausübung gehindert ist, da Gemeinwohlbelange die Ausübung nicht erfordern, kann sie entsprechende vertragliche Verpflichtungen des Käufers nicht verlangen.

Zusätzlich werfen einzelne Klauseln des vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg verwendeten Vertragsentwurfs Fragen im Hinblick auf ihre Rechtmäßigkeit auf. So erscheint fraglich, ob die Klausel zur Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung für Verträge dieser Art zugelassen ist. Auch die Regelung über die Vertragsstrafe dürfte einer AGB-Prüfung kaum standhalten.

Weitere Risiken bei Ausübung des Vorkaufsrechts
Sollte der Käufer den Abschluss eines entsprechenden Vertrages mit dem Bezirksamt verweigern und das Vorkaufsrecht ausgeübt werden, kann dies auch für den Verkäufer spürbare Konsequenzen haben. Einer Kommune ist es nämlich erlaubt, den vertraglich zu zahlenden Betrag nach dem Verkehrswert des Grundstücks im Zeitpunkt des Kaufes bestimmen, wenn der vereinbarte Kaufpreis den Verkehrswert in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschreitet. In Zeiten hoher Grundstückspreise in den Ballungsgebieten liegt es nahe, dass die öffentliche Hand von diesem Recht Gebrauch zu machen versucht, um den zwischen den Parteien vereinbarten Kaufpreis für sich deutlich zu reduzieren. In diesem Falle bleibt dem Verkäufer nur noch die Möglichkeit, bis zum Ablauf eines Monats nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts über die Ausübung des Vorkaufsrechts vom Vertrag zurückzutreten und damit auf den Verkauf des Grundstücks zu verzichten.

Was ist zu tun?
Zunächst sollten Parteien eines Grundstückskaufvertrages, die das beschriebene Anhörungsschreiben des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg erhalten und sich gegen eine Ausübung des Vorkaufsrechts zur Wehr setzen wollen, mit Hilfe eines Anwalts eine Stellungnahme abgeben und auf die Unzulässigkeit der Ausübung hinweisen, sofern die Ausübungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind. Sinnvoll ist dabei eine Abstimmung des Vorgehens zwischen Käufer und Verkäufer. Sollte das Bezirksamt das Vorkaufsrecht dennoch ausüben, müsste hiergegen, da es sich bei der Ausübung um einen Verwaltungsakt handelt, Widerspruch und gegebenenfalls anschließend Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben werden.

Käufer, die eine Vereinbarung zur Abwendung der Vorkaufsrechtsausübung mit dem Bezirksamt bereits geschlossen haben, sollten diese einer rechtlichen Prüfung unterziehen lassen, um sich gegen einzelne Forderungen der öffentlichen Hand zur Wehr setzen zu können. Auch eine Anfechtung der abgegebenen Willenserklärung bei Vertragsschluss wegen arglistiger Täuschung kann im Einzelfall erwogen werden. Es erscheint nicht denkbar, dass das Bezirksamt ohne Wissen um die rechtliche Unzulässigkeit des Vertragsangebots gehandelt hat. Die Beweislast hierfür liegt allerdings beim Käufer.

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